Der Glas-Mann und die stille Kämpferin

Tour Kolumne

Tja… irgendwie war das eine ziemlich durchwachsene Woche. Eine dieser Wochen, die man ganz getrost aus dem Kalender streichen mag, wenn man denn könnte. Man kann es nicht. Man kann nur versuchen zu vergessen und in den meisten Fällen funktioniert das ja eigentlich ganz gut.

Durchwachsen heißt aber eben auch, dass es den einen oder anderen schönen Moment gab oder auch einen melancholisch-schönen. Melancholie an sich ist ja meist eher etwas trauriges aber ehrlich gesagt finde ich ja, das gerade die auch ihre ganz eigene Schönheit, einen ganz eigenen Zauber haben kann. Ich hatte diese Woche zwei solcher Momente auf der Tour und davon mag ich euch heute erzählen.

Kennt noch jemand den alten Song „Streets of London“ von Ralph McTell?
Der eine oder andere hat es vielleicht mal im Englisch-Unterricht gehabt. Zumindest wird es da gerne benutzt. Für alle, die es nicht kennen habe ich es mal bei Youtube raus gewühlt (auch wenn die Lyrics nicht ganz stimmen).

Der Song wurde diese Woche sowas wie ein Ohrwurm für mich, der ständig in meinem Kopf rumgeisterte.

Alles begann wie jeden Morgen. Ich war gerade dabei meine Zeitungsstapel zu verstauen, als ein älterer Mann an mir vorbei kam. Einen langen Stock in der Hand, einen verschlissenen alten, kakifarbenen Rucksack auf dem Rücken, abgetragene alte Cordhose, eine dunkle Jacke darüber, die auch schon bessere Tage gesehen hatte und ausgelatschte Schuhe. Die ganze Gestalt hager, müde wirkend. Freundlich, wie immer – es war nicht das erste Mal, das wir uns um diese Zeit am Bus-Häuschen trafen – nickte er mir stumm kurz zu und wie immer grüßte ich ebenso zurück. Die meisten Menschen sind nicht eben gesprächig um diese Zeit aber letztlich zählt die Geste und nicht so sehr Worte. Man registriert den anderen, respektiert ihn irgendwo und geht den eigenen Dingen weiter nach. Kreise, die sich berühren aber niemals überschneiden.

Mein Ding, das sind eben meine Zeitungen. Sein Ding, das sind die Glascontainer.
Bei den ersten Malen war ich noch eher verwirrt, irritiert, fragte mich, was er da eigentlich tut. Dabei war es doch recht offensichtlich. Er schaute in jeden Glascontainer, leuchtet mit einer kleinen Taschenlampe hinein, wühlte mit dem langen Stock darin herum. Manchmal fand er was er suchte und geschickt – die Übung darin wurde schnell deutlich – angelte er die eine oder andere Pfandflasche aus dem Container.

Noch so jemand, der am Rande der Gesellschaft lebt, sich deren Wegwerf-Mentalität zu nutze macht, leise, vielleicht ein wenig verschämt angesichts der sehr frühen Stunde in der er seine Runden dreht. Stolz ist etwas, was oft teuer erkauft werden muss. Man kann es sich nicht immer leisten stolz zu sein oder gar zu zeigen.
…und plötzlich kam mir dieser Song in den Sinn. Vor ewigen Zeiten mal gelernt auf der Gitarre, den Text sowohl auf deutsch als auch auf englisch. Die Geschichte jener erzählend, die einsam und allein ihre Bahnen ziehen und keiner erinnert sich mehr daran wer oder was sie mal waren. Die Welt, die Zeit geht an ihnen vorüber und hat sie vergessen. Ich frage mich, was er wohl schon alles in seinem Leben erlebt hat, was er geleistet hat. Es mag ein banales Leben gewesen sein. Ein allerwelts-Leben eben. Vielleicht gehört er aber auch zu jenen vergessenen Helden, dereinst ausgezeichnet und gefeiert und dann vergessen, als ihre Zeit vorbei war, als sie zu nichts mehr nutze waren. Ich weiß es nicht. Ich werde es vermutlich auch nie erfahren. Stilles Abkommen des Schweigens. Kreise, die sich flüchtig berühren aber niemals schneiden. Kurze flüchtige Augenblicke die aber seltsamerweise von so viel mehr Respekt für einander durchsetzt sind als man es im allgemeinen, ganz profanen täglichen Leben auch nur ansatzweise erfährt. Ein Mensch, der noch Werte kennt, die längst verloren zu sein scheinen.
Melancholie, die eine gewisse Schönheit wie Traurigkeit in sich birgt.
Melancholie, die einem eben auch manchmal Dinge wieder in Erinnerung ruft, die man selbst fast schon vergessen hatte.

Und auch dies hat eine gewisse Melancholie, genauso wie es geradezu ein Sinnbild für Hoffnung und Stärke ist:
Es gibt so einige Laternen auf meinem Weg. Genauso wie es so einige Gärten, Vorgärten und die kleine Grünanlage der Wasserwerke gibt. Aber genau an dieser einen Laterne, wo so gut wie nichts Grünes in direkter Nähe liegt, genau da hat sich eine stille kleine Kämpferin durch den harten Stein, die engen Fugen des Pflasters gekämpft und zeigt stolz ihre Blüten in leuchtenden Farben:

kleine Kämpferin 1

kleine Kämpferin 2

…und ich hätte sie fast übersehen… O.o
Heute freue ich mich jeden Tag sie zu sehen, wohl wissend, dass sie eines Tages verblüht sein wird, wenn sie nicht schon vorher ausgerupft oder zertrampelt wird…
Heute war sie noch da und zwischen dicken fetten Zeitungen, mit Beilagen bis zum Abwinken, Regentropfen und einem all zu gesprächigen WochenTipp-Austräger war sie mal wieder eine echte Wohltat. smile

Schönes Wochenende euch da draußen. :winke:

Vic
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Klein, bekloppt, chaotisch, unkonventionell und erwachsen werden ist nicht mehr drin. ;) Technik-affin, Spiele-Freak, Leseratte und noch so einiges mehr. Vor allem aber ohne meine Fellnase(n) total aufgeschmissen! Willkommen in meiner kleinen, verrückten (Märchen-)Welt. Noch Fragen? Dann fragt doch einfach! ;)