Meine Mom – Eine kleine Homage

Black Rivers

Man kennt das vielleicht: Diese kleinen, etwas sentimental angehauchten Momente, in denen einem lang zurückliegende Erinnerungen durch die Gedanken streifen. Ich hatte heute so einen.

In meinen Erinnerungen reiste ich heute doch ziemlich weit zurück: In meine Kindheit.
Meine Eltern ließen sich scheiden als ich ungefähr 10 Jahre alt war. Also ca. Mitte der 70er. Was heute ganz alltäglich, fast schon eine Lapalie zu sein scheint war damals noch ein ausgemachter Skandal. Ganz besonders dann, wenn die Scheidung von der Frau eingereicht und die dann auch noch schuldig geschieden wurde. Oh ja! Damals wurde noch gefragt, wer am Scheitern einer Ehe Schuld hatte. Diese Schuldzuweisung hatte dann, neben dem gesellschaftlichen Makel, vor allem finanzielle Nachteile für die betroffene Partei. Meine Mom wurde nur aus einem Grund schuldig geschieden: Sie tat es freiwillig, damit die Scheidung so schnell und reibungslos als möglich über die Bühne gehen konnte. Praktisch hieß das: Sie verzichtete auf Unterstützung jeglicher Art für ihre Person, auf die sie sonst ein Anrecht gehabt hätte.

Ich wurde also ein so genanntes Schlüsselkind. Ein Kind also, dass schon früh eigene Schlüssel für sein Zuhause hatte und bei dem nach der Schule niemand mit dem Essen wartete.
Schlüsselkind zu sein bedeutete oft auch von den anderen Kindern ziemlich gehänselt zu werden. Es gab nur sehr wenige von uns und damit waren wir eben persé schon mal Außenseiter. Ich war aber vor allem ein stolzes Schlüsselkind. Ich glaube, ich habe es ihr nie gesagt aber ich war – und bin es heute noch – mächtig stolz auf meine Mom. Das hieß auch, dass ich meine Mom auf dem Schulhof vehement verteidigte. Brachte mir nicht gerade Ruhmespunkte ein, eher so manchen Ärger, zumal ich als Kind eine recht jähzornige Ader haben konnte, aber das war mir egal. Über meine Mom hatte keiner zu lästern.

Ich erinnere mich noch sehr gut an all die Unkenrufe, dass das niemals gut gehen könne. Das arme Kind würde wohl bald verlottern oder gar kriminell werden. Man weiß doch, wie so eine verkorkste Kindheit nur enden kann!
Sie alle hatten die Rechnung ohne meine Mom gemacht. Meine Mutter war und ist eine der stärksten Frauen, die ich je in meinem Leben kennen lernen durfte. Sie hat einfach alles gemeistert und gerade auch, weil es für sie ganz sicher nie wirklich einfach war: Mir als Kind hat es an NICHTS gefehlt! Jedenfalls nichts, was wichtig war. Meine Mom war immer für mich da, hatte immer ein offenes Ohr für mich und alles, was bei uns eben ein bisschen anders als in anderen Familien laufen musste, hat sie mir immer geduldig erklärt. Ja, ok… Ich hatte „nur“ ein Klapprad. Hellblau und ich war stolz auf mein Klapprad! Tatsächlich war ich so stolz drauf, dass ich geheult hab wie ein Schlosshund, als mir ein Autofahrer das Ding beim Rückwärts fahren platt gemacht hat. Ich bekam ein neues Rad aber ehrlich… bei dem erinnere ich mich nicht mal mehr an die Farbe geschweige denn ob es ein normales oder wieder ein Klapprad war.
Meine Klassenkameraden fuhren mit ihren Eltern nach Italien oder Spanien in den Urlaub. Wir fuhren „nur“ in die Schweiz. Genauer gesagt ins Tessin. Die meisten erzählten nach den Ferien von Hotels und Sandstränden. Ich hatte Abenteuer auf dem Zeltplatz: Von Unwettern mit Blitzeinschlägen auf dem Feld und wir stehen mit dem Auto mittendrin bis zur Überschwemmung des Zeltplatzes und einem fast weg gewehten Schlafzelt, was nur deshalb nicht weg flog, weil Mom eins der Spannseile an einem Baum fest gemacht hatte.
Andere Kinder hatten ein eigenes Zimmer. PAH! Wer braucht so was schon, wenn man kommen und gehen konnte wann und wie man wollte. Ja klar, natürlich habe ich auch Blödsinn dabei verzapft und das gab eben auch entsprechend Ärger aber ich hatte schon in sehr jungen Jahren etwas, was mir sehr viel später erst bewusst wurde: Meine Mom vertraute mir sehr viel mehr und traute mir sehr viel mehr zu als andere Kinder das von ihren ach so tollen Eltern hätten je behaupten können. Und glaubt mir… ich hab‘ meine Mom ganz sicher so manches Mal zur Verzweiflung gebracht. Aber egal was ich angestellt hatte, ungerecht wurde sie nie. Wenn es mal Strafen gab, dann waren die auch vollauf verdient.

Nein, es war nicht immer leicht zu verstehen oder zu akzeptieren, dass meine Mom nicht so viel Zeit für mich hatte wie andere Mütter für ihre Kinder. Es zu wissen heißt nun mal nicht es auch zu verstehen. Aber wirklich vermisst habe ich sie nur ein einziges Mal: Als ich 6 Wochen zur Kur war. Die erste Zeit war echt schlimm. Ich glaube, das habe ich ihr auch nie so wirklich gesagt, wie sehr ich sie da vermisst hatte. Heimweh hatte ich nicht aber Mama schrecklich vermisst.
Es gab nichts schöneres als bei Mama auf den Schoß zu krabbeln und zu schmusen. Die weltbeste Kuschel-Mama! Da fiel es leicht all den kindlichen Kummer zu vergessen, der einen halt so plagen kann.

…und dann lernte sie diesen Typen kennen. Ein Arbeitskollege. Davon habe ich lange nicht so wirklich was mitbekommen. Vermissen musste ich meine Mom in der Zeit aber auch nicht. Ehrlich gesagt… ich weiß gar nicht ob sie in all den Jahren, in denen sie für uns beide alleine sorgen musste, überhaupt jemals so was wie einen anderen Freund hatte bis zu eben diesem einen Typen. Aber ob und wie auch immer: Wenn ich Mama brauchte war Mama auch da. Daran gab es nie was zu rütteln. Tja… und dann kommt eines Tages meine Mom nach Hause und meint so, was ich denn von einem Brüderchen oder Schwesterchen halten würde. WHAT?! O.o Und sie hatte, etwas später, dann auch noch glatt die Stirn sozusagen mich um Erlaubnis zu fragen, ob sie den Vater heiraten könne. Na ja. Ganz so hat sie es nicht ausgedrückt aber ich war mächtig stolz, dass sie mich überhaupt nach meiner Meinung fragte.
…und bald war da also dieser Kerl und seine Familie, eine tolle Hochzeit und dann kam mein „großer“ Bruder auf die Welt und ein Jahr später mein „kleiner“ Bruder.
Meine Mom war glücklich und ich war glücklich, dass sie so glücklich war…

…und daaaaaaaaan… kam diese verflixte Pubertät.
Der zweite Mann meiner Mom – und das möchte ich mal in aller Deutlichkeit festgehalten haben – ist ein echt toller Mann. Das ich mit ihm nicht immer so ganz klar komme, das ist einfach so. Deswegen liebe ich ihn – so als Kind zu quasi Stiefvater – nicht weniger. Leicht hatte er es mit mir mal ganz sicher nicht immer. Ganz im Gegenteil. Und das bitte, obwohl er ganz klar NIE versucht hat mir den Vater zu ersetzen. Hätte er auch gar nicht gekonnt. Ich war immerhin schon fast 16 Jahre alt. Da lässt man sich sowieso langsam nicht mehr all zu viel sagen… Um ehrlich zu sein: Ich wäre heute stolz, wenn ich seine Tochter hätte sein dürfen. Letztlich war er mir trotz aller Probleme mehr Vater als mein eigener Vater. Wie auch immer…
Die verflixte Pubertät.
Ich verzapfte so einigen Mist in der Zeit. Bin ich nicht wirklich stolz drauf. Es gipfelte schließlich im ziemlich frühen Auszug Zuhause, einer viel zu frühen Heirat samt baldiger Scheidung und letztlich bekam ich einen so gewaltigen Krach mit meiner Mom, dass wir geschlagene 4 Jahre kein Wort mehr miteinander wechselten. Ich weiß heute nicht mal mehr worum es ging… Aber ich weiß heute noch, dass mir meine Mom in der Zeit fürchterlich fehlte. Aber ich war auch zu stolz den ersten Schritt zu machen. Bis…

…bis zu jener Geburtstagskarte, die mich so unverhofft erreichte. Die einzige Geburtstagskarte bei der ich Rotz und Wasser flennen musste. Nicht wegen der Karte selbst sondern wegen einem Satz auf einem karierten DinA6-Notizzettel, der mit dabei lag: „…denn trotz allem bist du doch meine Tochter.“ Ein besseres Geburtsgeschenk habe ich nie wieder bekommen. Den Zettel habe ich Jahre lang in meinem Portemonnaie bei mir getragen. Bis ich das Ding aus versehen mal mit gewaschen hatte und der Zettel nur noch ein Klumpen irgendwas war. Die Worte werde ich nie vergessen. Die trage ich immer bei mir.

Es sind viele, viele Jahre mittlerweile vergangen. Es gab Höhen und Tiefen und zuweilen wird sich meine Mom sicher einen etwas häufigeren Kontakt wünschen. Vor allem, da wir nun knapp 400 KM weit auseinander wohnen. Der erscheint öfter mal eher lose oder sporadisch. In Wahrheit denke ich aber oft an meine Mom und wie sie all die vielen Dinge in ihren Leben angepackt und gemeistert hat. Früher dachte ich immer, mit welch einer Leichtigkeit sie all das immer gemanaged hat. Heute bin ich mir sicher, dass es sehr oft alles andere als leicht gewesen ist. Aber die Tatsache, dass es mir als Kind immer so vor kam sagt wohl eine ganze Menge über meine Mom aus. Ich bekam von all den vielen Schwierigkeiten nämlich so gut wie nichts mit. Ich durfte trotz allem einfach Kind sein. Toben, spielen, Fehler machen und lernen. Sie zeigte mir die Wunderwelt Bücher, lehrte mich sie zu lieben. Ich wäre nie diese Leseratte geworden, die ich heute bin, wäre meine Mom nicht gewesen. Sie lehrte mich, dass Kreativität etwas Schönes ist und nichts Nutzloses. Sie zwang mich nie Dinge dauerhaft zu tun, die ich nicht mochte, ließ mich vieles auch einfach ausprobieren. Ob nun Gitarre spielen lernen, was ich irgendwann echt hasste oder Tischtennis-Verein oder Schwimmverein…
Ich hätte keine bessere Lehrmeisterin als meine Mom haben können. Denn sie lehrte mich auf eigenen Füßen zu stehen und die Dinge von mehreren Seiten zu betrachten bevor ich mir ein Urteil bilde. Sie konnte im rechten Augenblick los lassen und mich auf eben diesen eigenen Füßen stehen lassen und sie lässt mich schon immer mein Leben leben wie ich es möchte und kann das ohne wenn und aber akzeptieren. Und wenn ich doch mal daneben haue, dann steht mir auch heute noch Zuhause immer die Tür offen. Das war immer so und das wird immer so bleiben. Egal was kommt. Ein Schatz, den ich heute mehr denn je wertschätze.

So viele Jahre und meine Mom hat es auch heute leider nicht immer leicht. Aber sie kämpft sich immer noch jeden Tag durch. Ihr Geduldsfaden ist zuweilen recht kurz geworden und sicherlich hat sie heute öfter mal Tage, wo sie hinschmeißen mag als zu früheren Zeiten. Aber ihre Familie im Stich lassen wird sie nie. Meine Mom ist eine Löwin und der sollte man nicht in die Quere kommen. Auch heute nicht.
Ich wünsche ihr noch viele schöne Jahre. Vor allem noch viele Jahre in denen sie nicht mehr jeden Tag kämpfen muss. Viele Tage und Jahre, die sie genießen kann. Die hat sie sich mehr als verdient.

Danke Mama, für alles.
Ich liebe dich sehr auch wenn es nicht immer so ausgesehen hat oder aussieht.
Ich bin stolz auf dich. Ich bin stolz darauf, deine Tochter zu sein.

Vic
Über Vic 260 Artikel
Klein, bekloppt, chaotisch, unkonventionell und erwachsen werden ist nicht mehr drin. ;) Technik-affin, Spiele-Freak, Leseratte und noch so einiges mehr. Vor allem aber ohne meine Fellnase(n) total aufgeschmissen! Willkommen in meiner kleinen, verrückten (Märchen-)Welt. Noch Fragen? Dann fragt doch einfach! ;)

3 Kommentare

  1. Sehr schöne Dankessagung, falls deine Mama sie gelesen war sie sicherlich überglücklich. Bin nur zufällig auf deine Seite hier gestoßen (Einen Kommi von dir auf SMS von gestern Nacht gelesen, dann deine FB-Seite nachgeschaut wegen dem Profilbild und nun bin ich hier) aber das was ich bisher gelesen habe ist echt ganz in Ordnung. Wünsche dir auf jeden Fall viel Glück in deinem Leben, ebenso wie deiner Mutter, und hoffe noch mehr interessantes Zeug von dir zu lesen in der Zukunft.

    Gruß der Ivan

    • Vielen lieben Dank, Ivan., und willkommen in meinem Chaos-Blog. ;)

      Ich bin mir nicht mal sicher, dass meine Mom diese Seiten bisher kannte. Also habe ich den Eintrag ausgedruckt und ihr per guter, alter Post geschickt. Gelesen hat sie den Text also mittlerweile sicherlich. Den passenden Kommentar kriege ich dann vermutlich, wenn ich sie mal wieder anrufe. ^^

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