Zeit ist relativ

Black Rivers

Es ist noch gar nicht so lange her, knapp 4 Monate erst, da schrieb ich aus einer mir immer noch nicht so ganz klaren Laune heraus eine kleine Homage an meine Mom.
Ich wusste, sie würde es hier nicht lesen. Von meiner Family liest hier niemand mit oder hat es je getan in all den Jahren, was mich aber auch nie störte. In solchen Dingen ist meine Family einfach herrlich unkompliziert.
Diese Tatsache im Hinterkopf habend folgte ich ohne weiter drüber nachzudenken einer weiteren Intuition an diesem Tag: Ich druckte den Text aus, schrieb ein paar Zeilen dazu und schickte alles an meine Mom.

Um ehrlich zu sein… Ich kam mir eine ganze Weile ziemlich blöd vor. Als wir das erste Mal nach dem Text telefonierten, traute ich mich nicht mal zu fragen, ob er auch angekommen wäre. Mom sagte auch nichts weiter dazu. Irgendwann kurz vor Weihnachten wagte ich es dann doch mal nachzuhaken. Meine Mom sagte nur, ja, der wäre schon vor eniger Zeit angekommen und sie hätte ihn irgendwo verwahrt, wo ihn die anderen nicht so ohne weiteres finden würden. Vielleicht fiele ihnen der Brief dann mal in die Hände, wenn sie mal nicht mehr wäre.
Der letzte Satz gab mir schon zu denken, aber ich hakte nicht weiter nach. Aber immerhin hatte ich wohl genau das getroffen, was ich ihr hatte sagen wollen und das war für mich in dem Moment das Wichtigste.

…wenn sie mal nicht mehr wäre…
Man macht sich so wenig Gedanken über Zeit. Man hat sie, man verbraucht sie, verplant, plant um, schiebt, vergeudet… und plötzlich ist sie um. Einfach so und unwiderbringlich.
Selbst ich, die ich vor gerade mal zwei bzw. drei Jahren von jetzt auf eben vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, kam und komme gerade nicht damit klar, wie verdammt kurz Zeit sein kann. Das Einzige, wofür ich gerade wahnsinnig dankbar bin, ist die Tatsache, dass ich den Mut fand meiner Mom all diese Dinge zu sagen bevor es zu spät ist. Ich habe es tatsächlich wenigstens ein Mal im Leben geschafft rechtzeitig das Richtige zu tun. Wenn ich dran denke wie oft mir der Gedanke schon gekommen war und genauso oft hatte ich ihn wieder verworfen. Bis eben auf jenen einen Tag letztes Jahr im September.

Heute… stehe ich ein Mal mehr fassungslos vor vollendeten Tatsachen. Meine Mom ist nicht mehr hier. Ich kann sie nicht mehr einfach mal anrufen oder ihr schreiben. Einfach mal besuchen und in den Arm nehmen. Ich hatte nicht mal die Chance mich von ihr zu verabschieden. Es ging so rasend schnell, dass sich keiner von uns verabschieden konnte. Geschweige denn, dass wir darauf vorbereitet gewesen wären, dass es nötig sein könnte.
Es sollte uns ein Trost sein, dass sie nicht lange leiden musste, ihr Sterben selbst gar nicht mehr so richtig mitbekam, da sie da bereits im Koma lag.
Es tröstet kein Stück. Es ist einfach alles irreal und vor allem wirkt es so völlig sinnlos.

Ich dachte wirklich, ich hätte noch viele, viele Jahre mit meiner Mom.
Zeit ist relativ.
Es bleiben viele Momente in Erinnerung. Glückliche, weniger glückliche, lustige aber nur ein einziger trauriger – die Nachricht von ihrem Tod, kaum eine Stunde, nachdem ich erfahren hatte, dass sie ins Koma gefallen wäre. Es sind mehr Erinnerungen, als man anfangs dachte. Unversehens kleine Kostbarkeiten, die behütet und gepflegt sein wollen. Denn mehr als diese wird es nicht mehr geben.
Und wieder richte ich eine kleine Ecke in meinem Herzen ein in welchem ich all diese Erinnerungen sorgsam verwahre. Mehr besitze ich nicht von ihr. Mehr braucht es  auch nicht. Vergessen sein wird sie nie. Weder von mir noch von ihren Söhnen und schon gar nicht von ihrem Mann. In unseren Herzen werden wir sie immer tragen, so lange unsere Zeit hier noch währen mag.

Zeit ist relativ und niemand weiß wie viel davon ihm bleibt.
Sollte man da nicht sorgsamer mit der Zeit umgehen? Klingt so einfach und ist doch meist deutlich schwerer.
Was heute belanglos erscheint, könnte schon morgen wichtig sein.
Was wir heute als wichtig erachten erweißt sich in der Zukunft als belanglos.
Und doch… wir sollten sorgsamer mit unserer Zeit umgehen. Denn verlorene Zeit kann niemand zurück bringen oder ersetzen.

Vic
Über Vic 260 Artikel
Klein, bekloppt, chaotisch, unkonventionell und erwachsen werden ist nicht mehr drin. ;) Technik-affin, Spiele-Freak, Leseratte und noch so einiges mehr. Vor allem aber ohne meine Fellnase(n) total aufgeschmissen! Willkommen in meiner kleinen, verrückten (Märchen-)Welt. Noch Fragen? Dann fragt doch einfach! ;)