Unkraut vergeht einfach nicht – Teil2

IC Writing

Es gibt diese Tage.. Tage, an denen sich einfach alles ändert. Tage, an denen die Welt nicht mehr das ist, was man von ihr kennt, wie sie sich bisher dar gestellt hat. In den letzten drei Jahren hatte ich eine ganze Reihe solcher Tage. Geradezu ganze Serien – so im Nachhinein betrachtet.
Hatte ich wirklich geglaubt, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann? War ich wirklich der Überzeugung mittlerweile dann doch mal am Boden aller Tatsachen angekommen zu sein?
Ja… aber wie so oft: Purer Irrtum. Es kann immer noch schlimmer kommen…

Ich habe selten solche Momente, in denen ich erst Mal gar nichts mache. Verdauen kommt bei mir meistens erst viel später. Primär wird einfach umgeschaltet auf funktionieren und das Wichtigste abarbeiten. Eine Fähigkeit auf die ich mich in früheren Zeiten eigentlich immer verlassen konnte. Im Laufe diesen sich langsam neigenden Jahres hatte ich genau diese Fähigkeit wohl mehr und mehr eingebüßt.

Da stand ich nun. Mitten im Raum, das Telefon noch in der Hand und war gar nicht fähig zu reagieren. Wie hätte ich auch reagieren sollen? War ja nicht mal jemand da, zu dem man sich – und sei es auch nur verbal – hätte flüchten können, die Last der Nachricht sozusagen teilen oder zumindest ein bisschen verteilen.
Nur langsam setzte der Pragmatismus ein und der war dann noch nicht mal sachlich genug mich aus diesem komischen Zustand zu reißen. Mir gingen sprichwörtlich tausende von Sachen im Kopf rum. All zu viel brauchbares war aber erst Mal nicht dabei.

Schließlich kam irgendwo am Rande ein Gedanke auf, der mir brauchbar erschien in diesem ganzen doch ziemlich irrealen Chaos. Marco anrufen!
Ich wusste – oh wunder, das Gedächtnis setzte immerhin ganz brauchbar wieder ein – dass er mittlerweile auf Arbeit sein musste. Blieb nur zu hoffen, dass er sein Handy auch an hatte. Die Nummer des Ladens hatte ich natürlich nicht… Ein Umstand, der auch mal dringend geändert werden sollte.

Er hatte sein Handy an. —
Und er reagierte genauso, wie ich es gerade dringend brauchte: Ruhig, sachlich, souverän ohne für den Moment völlig überflüssige Fragen zu stellen – die ich sowieso nicht hätte beantworten können.
Marco gehört zu der doch sehr seltenen Sorte von Menschen, die tierisch hektisch, schusselig, hyperaktiv sein können aber genau in dem Moment, in dem eine Notsituation auftaucht einfach einen Schalter umlegen und absolut gradlinig und auf das für den Moment Notwendigste umschalten können. Alles andere hatte Zeit, wurde einfach vertagt. In meiner Verwirrung überließ ich ihm nur zu gerne sozusagen die Führung. Anweisungen einfach befolgen ist wesentlich einfacher als krampfhaft zu versuchen die Dinge in die richtige Bahn zu bekommen. So dauerte dieses Gespräch auch keine 2 Minuten: Ansage was Sache ist, kurzes Schlucken von seiner Seite und dann die klare Ansage: „Du packst, ich kümmere mich um Transport. Ruf dich in 5 Minuten wieder an.“

UFF! Damit konnte ich doch was anfangen.
Tasche suchen, Klamotten zusammen kramen…
…und es ist wieder soooo typisch für mich! Netbook, Kindle, Handy, Kabelkram, Kopfhörer… alles komplett an Bord. Klamotten musste ich zwei Mal kontrollieren… So was simples wie Tempos vergaß ich dann aber völlig! Immerhin schaffte ich es bei den Klamotten nichts zu vergessen und auch Badutensilien waren schnell und vollständig verstaut.
Zwischendurch kam der versprochene Rückruf und die Nachricht, dass jemand unterwegs sei mich ins Krankenhaus zu bringen.
Sag noch einer, Freunde wären nichts wert! Der hatte nie das Privileg und Geschenk einen echten Freund zu haben. Der gehört verhauen! Punkt!
…und auch die Zusage sich um meine beiden Fellnasen zu kümmern kam ganz von alleine inkl. der notwendigen Fragen zu dem Thema. Gerade in solchen Dingen völlig unbelastet bleiben zu können ist ehrlich Gold wert. Man hat den Kopf sowieso schon mit genug Horror-Szenarien voll und dann eventuell nicht zu wissen, was mit den geliebten Samtpfoten passiert wäre einfach nur noch der Gipfel allen Horrors gewesen. Zumal ich so gar nicht wusste, was da auf mich zu kommen würde.

Ca. anderthalb Stunden später, inkl. eines kurzen Zwischenstopps bei meinem Hausarzt um die Einweisung abzuholen, stand ich also vor dem Bernward-Krankenhaus. Hier auch kurz einfach BKH genannt. In die städtischen Kliniken wollte ich nicht, auch wenn, oder gerade weil, die gerade umgezogen waren in einen hypermodernen Neubau. Die liegen einfach zu weit Abseits und obendrein hatte ich die noch nie gemocht. Meine Schwiegereltern lagen über die Jahre da mal öfter drin und JEDESMAL war irgendwas, was nicht sein sollte. Zumindest nicht in einem Krankenhaus.

Mein Fahrer hatte noch gefragt ob er mit rein kommen soll. Ich hatte dankend abgelehnt. Ich war ja schon froh, dass er so lieb war einfach alles stehen und liegen zu lassen um mich dahin zu fahren. Davon abgesehen… was hätte er da drin schon tun können? Peinliche Nummer irgendwie und das musste nun wirklich nicht auch noch sein. Man denkt ehrlich ziemlich verquer manchmal… So kam es also, dass ich reichlich verwirrt und mutterseelen allein vor dem Thresen der Besucherinformation stand. Das ich einfach in die Notaufnahme hätte tigern müssen, darauf kam ich ja erst gar nicht.

Als ich dann endlich dran war – irgendwie war ziemlich viel los und ich hatte so ein, zwei Figuren vor mir – zeigte ich dem Herrn meine Einweisung und fragte also wo ich mich da melden müsse. Die Antwort kam ziemlich barsch, fast schon ungehalten: „Notaufnahme“. Aha… erm… und wo… „Aufzüge, ein Stockwerk runter.“ …
Um ehrlich zu sein… ich kam mir gerade ziemlich verloren, fehl am Platz und störend vor. Ich hatte eigentlich nicht mal Plan wo ich die Aufzüge finde aber weitere Fragen sparte ich mir lieber. Also murmelte ich nur ein Danke und tappste in Richtung der Hinweis-Tafeln. Langsam wurde mir die Tasche doch arg schwer und ich war – warum auch immer – völlig nass geschwitzt.
Endlich in der Notaufnahme stellte ich mich auch da erst mal brav an. Die typische allgegenwärtige Hektik einer gut besuchten Notaufnahme war auch hier zu spüren und irgendwie befürchtete ich, dass ich auch hier nur stören würde. Immerhin betrachtete ich mich so gar nicht als Notfall. Ich stand auf eigenen Füßen, bepackt und aufrecht, wenn auch bissel unsicher und tierisch müde.
Es dauert ein bisschen, bis man Zeit für mich hatte. Geduldig wartete ich also brav am Thresen. Als ich dann endlich dem jungen Mann hinter dem Thresen die Einweisung reichte wurde der plötzlich etwas hektisch. Er fragte noch nach meiner Versichertenkarte und war auch schon unterwegs. Kaum 5 Minuten später lag ich auf einer dieser Roll-Liegen, links und rechts die Gitter oben, durfte mich nicht mal mehr aufsetzen, geschweige denn meine Tasche tragen… erm… HALLO?!

Es folgte das übliche Prozedere: Blut abnehmen, Blutdruck messen, abhorchen… endlose Fragereien. Blubb. Kann ich was zu trinken bekommen? Nein. HMPF. Ich müsste mal zur Toilette… „Sie dürfen nicht aufstehen.“ GRMPF!
Wo zum Henker war ich denn hier gelandet? Folterlager?
Ich begriff einfach nicht, was hier eigentlich plötzlich los war. Was wohl auch einfach damit zusammen hing, dass man bei Herzinfarkt einfach ein völlig anderes Bild im Kopf hat. So nach dem Motto: Stechender Schmerz, Jammer, umfall -> Tatütata. NICHTS davon war mir unter gekommen. Ich sollte noch lernen, dass das sozusagen die eher männliche Variante eines Infarktes ist…

Schließlich fragte ich einfach ganz frech die behandelnde Ärztin. Sie fragte mich noch, wie ich mich gerade im Moment fühlen würde und gab mir dann die Erlaubnis zumindest mal Richtung WC zu kantabern. Vorne am Empfang fragte ich einen der Pfleger wo diese denn wären, was mir erst mal ein ziemlich harsches: „Was machen Sie denn hier! Sie sollen doch nicht aufstehen!“ – einbrachte. So langsam ging mir der Ton hier ein klein wenig auf den Zeiger. Ich mochte zwar nun als Patientin gelten aber ich war kein kleines Kind mehr! Also patzte ich halt in der gleichen Tonlage zurück: „Ich habe extra die Ärztin gefragt!“ – und guckte ihn wohl ziemlich herausfordernd an. Prompt kam die gewünschte Auskunft gleich um ganze Oktaven freundlicher. Innerlich rumbrummelnd machte ich mich also auf dem Weg. Wieso zum Henker, hat so eine Notaufnahme eigentlich kein Patienten-WC… Irgendwie auch so eine totale Fehlplanung.

Wieder zurück lag ich dann erst Mal zwei geschlagene Stunden auf dieser Liege rum. Allein mit mir und meinen Gedanken. Man wartete auf irgendwelche Laborergebnisse…
Das Fatale an solchen Untersuchungskabinen ist einfach: hell, steril, unpersönlich. Allein zu sein ist da echt bitter. Keiner da mit dem man reden kann oder der einfach nur da wäre, was schon mal etwas wäre. Aber wie so oft musste ich mal wieder alleine da durch. Ich bereute so ein bisschen das Angebot meines Fahrers nicht angenommen zu haben. Allerdings bezweifelte ich auch, dass der über die Anmeldung der Notaufnahme hinaus gekommen wäre. Immerhin hatte er ja noch einen Job und Familie und überhaupt… Man fügt sich also. Blieb ja sowieso nichts anderes. Aber wer glaubt, man gewöhne sich irgendwann an solche Situationen, dem sei versichert: Nein, tut man nicht! Man sehnt sich immer nach jemanden, der einen in der eigenen Angst nicht alleine lässt. Und Angst hatte ich mittlerweile genügend!

Es war nicht viel gewesen, was ich aus der Ärztin an Informationen heraus bekommen hatte. Aber das reichte alle mal es mit der Angst zu tun zu bekommen. Alleine schon der Satz: Frauen haben meist einen „stillen Infarkt“ und kriegen den oft nicht mal mit – reichte völlig um klar zu machen, dass ich ein Notfall war! Die kurze Erklärung der Zusammenhänge tat dann sein übriges. Mehr Infos wollte ich jetzt erst mal gar nicht haben!

Draußen auf dem Gang – man freut sich irgendwann über jede Ablenkung – gab es irgendwann plötzlich Tumult. Sozusagen Varieté in der Notaufnahme. Ein unverkennbar mehr als reichlich Besoffener diskutierte wohl mit mindestens zwei Polizisten aus, dass der Bürger ja auch Rechte hätte und man ihn nicht einfach so mit Nadeln pieksen könne. Und überhaupt gäbe es ja noch den Paragraphen 1 des BGB! WOLLJA!
Interessant… besoffen wie sonst was aber noch Paragraphen in der Birne haben. Sachen gibt’s… Allein… Die Staatsmacht Polizei ließ das alles ziemlich kalt.
Schließlich hatten sie den Kerl wohl in eins der Untersuchungs-Zimmerchen und dort auf eine Liege verfrachtet. Was nun kam war echt eine Show, wie man sie wohl nur selten zu sehen bekommt.
Eine Schwester kam bei mir rein, irgendwas aus den Schränken holen. Beim Hinausgehen zog sie aber die Schiebetür nicht richtig zu und ich bekam einen Teil der Show richtig live mit. Herr Besoffski randalierte also irgendwo rechts von mir. Was er so alles krakeelte verstand ich eh kaum und im Grund war ich mit meinem eigenen Kram beschäftigt. Kurze Zeit später kamen die beiden Polizisten an meiner Kabine vorbei. Ein Er und eine Sie. Sie waren schon längst an mir vorbei, als es plötzlich rechts von mir gewaltig schepperte und rummste. Und dann kam der Herr Besoffski an meiner Kabine vorbei… Das Gitter, an dem die Polizisten ihn mittels Handschellen gefesselt hatten, lässig mitschleppend.
Toller Film!
Es kostete einige Mühe den aufmüpfigen Kandidaten wieder in sein Bettchen zu verfrachten. Weitere Diskussionen bekam ich dann aber nicht mehr mit denn die Ärztin kam zurück und mit ihr sozusagen die Stunde der Wahrheit…

[to be continued…]

Vic
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Klein, bekloppt, chaotisch, unkonventionell und erwachsen werden ist nicht mehr drin. ;) Technik-affin, Spiele-Freak, Leseratte und noch so einiges mehr. Vor allem aber ohne meine Fellnase(n) total aufgeschmissen! Willkommen in meiner kleinen, verrückten (Märchen-)Welt. Noch Fragen? Dann fragt doch einfach! ;)