Unkraut vergeht einfach nicht! – Teil 1

IC Writing

Es gibt Erfahrungen… auf die kann man saugut verzichten…

Wenn ich heute so drüber nachdenke, weiß ich nicht mal genau, wann der ganze Nonsens überhaupt angefangen hat. November ist ja sowieso so ein dämlicher Monat, selbst für Menschen wie mich, die den Herbst eigentlich lieben und nicht gerade zu einer Herbstdepression neigen. Letzteres macht allerdings dann auch nicht mehr wirklich was, wenn man sowieso schon depressiv ist. Man zählt halt einfach „ein paar mehr“ schlechte Tage durch. Profan ausgedrückt. Wie auch immer: November ist einfach blöd. Blödes Licht, blödes Wetter, blöder Vorweihnachtsstress, der gerade ab Mitte November selbst für den spürbar wird, der mit dem ganzen Krempel nichts am Hut hat. Manchen Dingen kann man sich einfach nicht entziehen, werden sie einem doch geradezu mit Gewalt aufgedrängt.

Alles fing also irgendwann im November an.
Na ja… wenn ich akribisch sein will müsste ich wohl noch wesentlich weiter ausholen. Aber wer will schon eine verkorkste Biografie über ein verkorkstes Leben lesen?! Bleiben wir also einfach beim November.
Eine gewisse Grund-Erschöpfung machte sich immer deutlicher bemerkbar. Ich bin eigentlich nicht der Mensch, der Probleme damit hat überhaupt mal aus dem Bett zu krabbeln. Mein Problem lag schon immer eher darin überhaupt in ein Bett rein zu finden. Tage sind irgendwie immer zu kurz. Mein Standardspruch war dann auch immer: Schlafen kann ich noch genug, wenn ich tot bin.
Die Dinge begannen sich zu ändern. Ich fand immer häufiger freiwillig in mein Bettchen aber raus kommen wurde zu einer echten Aufgabe. Der innere Antrieb schien sich aufgebraucht zu haben. Die Energie verpufft. So wunderte es mich auch nicht so wirklich, dass mir meine Zeitungstour allmählich von Tag zu Tag schwerer fiel. Wäre dieses gottverdammte, saudämliche und viel zu ausgeprägte Pflichtbewusstsein nicht gewesen, ich hätte mich vermutlich einfach mal so ein oder zwei Wochen krank schreiben lassen. Mal ganz zu schweigen davon, dass ich noch keinen Urlaub eingereicht oder gemacht hätte. Stattdessen krabbelte ich also jeden Tag über pünktlich doch aus meinem Bett, schlich zur Ablagestelle und trug meine Zeitungen eben aus. Einzig die Dauer änderte sich deutlich. Wo ich früher maximal eine Stunde brauchte, wurden mit der Zeit anderthalb Stunden draus. Aber wen kratzte das schon, solange die Zeitung pünktlich, sprich vor 6 Uhr, in den Briefkästen lag. Niemanden. Es wusste ja auch keiner davon. Man lernt zu schweigen und hinter meiner Wohnungstür gibt es niemanden mehr, dem was auffallen könnte UND vielleicht mal Einspruch erheben würde. Meine beiden Fellnasen haben ihre ganz eigene Art mit Unpässlichkeiten umzugehen: Sie weichen einem nicht mehr von der Seite – diese beiden wandelnden Heizkissen!

Die Tage vergingen, wurden zu Wochen und vielleicht hätte ich mir doch mal den einen oder anderen Gedanken machen sollen. Man macht es nicht. Man ist gefangen zwischen Pflicht und Anforderungen, Stress und Ärger und mag man auch für vieles ein Ohr haben, für den eigenen Körper, das eigene Bewusstsein, hat man meist nur taube Ohren. Bis eben zu jenem Mittwoch, den 21.11. Bescheuerter Tag von vornherein. Eigentlich der Geburtstag von Atze, der ja nun mal nicht mehr ist. Nicht, dass jemals gefeiert worden wäre oder so… aber trotzdem. Ist genauso ein blöder Tag wie der 11.11. Noch so ein Geburtstag eines Menschen, der nicht mehr ist, den man immer noch Tag für Tag vermisst.
Das Wetter passte denn auch perfekt zur Stimmung: Eisig kalt und nass. Ich war hundemüde und das bitte obwohl ich – jawohl ICH! die Nachteule vor dem Herrn! – immerhin rund 10 Stunden geschlafen hatte. Zwar mehr schlecht als recht aber die Stundenzahl war schon mehr als beachtlich für meine Verhältnisse. Müde hin oder her, es half ja nichts. Also machte ich mich pflichtschuldig auf den Weg. Zu allem Überfluss mal wieder eine Zeitung, die aus mehr Beilagen als Tageszeitung bestand. Entsprechend schwer war dann auch der Trolley. Es passte aber auch wirklich alles zusammen.
Bis zu meinem Bezirk und die erste Straße runter ging noch alles relativ normal. Was ich halt so normal nennen konnte in den letzten Wochen. Zügig sah ja schon länger anders aus. Zwischen Polizeiwache und Gymnasium wurde mir allerdings dann doch etwas arg schwummerig. Zähne zusammen und weiter. Am Gymnasium gibt es eine Bank, die ich hin und wieder für eine kleine Pause nutzte. Heute war definitiv eine fällig. Mir wurde heiß und kalt und leicht übel. Die Pause dauerte dann auch deutlich länger als gewöhnlich. Meist machte ich da für so ein bis zwei Minuten halt. Aber dieses Mal chillte ich glatte 10 Minuten. Mal gut, dass ich immer genug Karenzzeiten einplane auf meiner Tour. Aber genau die war ja noch lange nicht rum…

Endlich wieder unterwegs registrierte ich ziemlich schnell, dass mir im wahrsten Sinne des Wortes schon nach wenigen Metern die Luft weg blieb. Ich kam mir vor als ob ich gerade einen 100-Meter-Sprint hinter mich gebracht hätte. Es blieb mir nichts anderes übrig als das Lauftempo noch mehr zu drosseln. Also gemächlicher durch die Gegend latschen. In der nächsten Straße kamen dann auch noch die blöden Treppen dazu. Lauter Einfamilien-Häuser halt und so ziemlich alle kriegen eine Zeitung. Selten habe ich innerlich so über diese Straße geflucht wie an diesem Mittwoch. Am Ende der Straße war ich so fertig, dass ich mir auf einer der Treppen die nächste Pause gönnte. Eigentlich hätte ich spätestens jetzt wohl mal stutzig werden müssen… aber man ist so beschäftigt damit überhaupt wieder Energie zusammen zu raffen und vor allem Luft, dass man wohl nicht mehr denkt…
Jede Tour ist irgendwann mal zu Ende. So auch diese. Kaum Zuhause angekommen verkrabbelte ich mich fast umgehend ins Bett. Ich war einfach nur noch müde und alle und wollte nichts mehr sehen oder hören.
Irgendwann Abends wurde ich wieder wach und fühlte mich sowas von gerädert. Es nahm Wunder, dass die Knochen nicht quietschten, so wie die weh taten. Ich dachte nur: Pft… ihr könnt mich alle mal. Katzen füttern, frisches Wasser hin stellen, BETT. So richtig schlafen konnte man das zwar nicht nennen aber ich fühlte mich da einfach gut aufgehoben bis… bis halt dieser dämliche Wecker mich dran erinnerte, dass ich ja noch einen Job habe.

So vergingen die nächsten Tage ziemlich mies. Das war schon keine Sparflamme mehr, auf der ich funktionierte, das war nur noch ein Glimmen. Endlich war Samstag. Die letzte Tour für diese Woche. Wochenende! Noch dazu eines, an dem ich nicht zu Schwiegermama musste. Ich beschloss mich einfach aus zu kurieren und gar nichts sonst zu machen. Hieß: Frau verbrachte mehr Zeit im Bett als sonst was. Alles andere war auch einfach utopisch. Es war völlig egal was ich machte, ich bekam einfach keine Luft. Es wurde und wurde einfach nicht besser. Im Gegenteil hatte ich viel mehr das Gefühl, dass es immer schlechter wurde. Okay… da hat sich wohl jemand eine Erkältung oder so gefangen. Wenn auch ohne Triefnase oder Husten. Ein ruhiges Wochenende sollte da schon Abhilfe schaffen…

Montag… Ich weiß bis heute nicht mehr wie ich die Tour überhaupt geschafft habe. Es war jedenfalls nicht die schlechteste Idee schon um kurz nach 3 Uhr los zu tigern. Nach einer gefühlten Ewigkeit war ich dann um kurz vor 6 Uhr endlich wieder Zuhause. Was auch immer ich mir da gefangen hatte, so konnte das auf keinen Fall weiter gehen. Also Doc anrufen, Termin holen und hin da. Der Plan war, dass der mir was verschreibt, damit ich wieder Luft kriege und ansonsten halt alles bissel sutje (sachte) angehen lassen, bis es wieder besser geht. An krank schreiben lassen dachte ich nicht mal im Traum. Die Diskussion kennt mein Hausarzt aber schon. Der fragt schon gar nicht mehr ob ich einen gelben Zettel „brauche“.

Termin kriegen war kein Problem. Da ich selten einen Termin „so schnell wie möglich“ haben will, ist denen schon klar, dass es mir dann echt krotzig geht. Normalerweise geht der Spruch nämlich anders: „Bräuchte mal ein Terminchen bei euch. Wann immer es euch am Besten passt.“ Ergo kam dieses mal auch prompt die Ansage: „Kommen sie einfach gleich vorbei. Ich lege ihre Akte schon mal raus. Dann müssen sie nicht so lange warten.“ Voilà. Geht doch.
…und es ging auch relativ fix obwohl die Praxis ehrlich ziemlich voll war. Na ja… Erkältungszeit und dann auch noch Montagmorgen. Sozusagen Stoßzeit bei Hausärzten.
Beim Doc dann das übliche: Erklären was los ist. Fragen beantworten. Abhorchen und Co. Beim Blutdruck messen kam mein Doc dann das erste Mal ins Stolpern… und nicht nur der! Der Blutdruck war viel zu hoch. So was gab es noch nie. Ob ich irgendwie aufgeregt wäre. Erm… nein? Ich bin hundemüde? Ich will nur was für meine Luft und dann schnellstens in mein Bett? Ob es Fälle von Bluthochdruck in meiner Family gäbe oder gegeben hätte. Öhm… nein? Diabetes? Nein. Herzinfarkte? Nein. Herz- und/oder sonstige Kreislaufkrankheiten? Erm… nein? Nur meine Mom hat einen angeborenen Herzfehler, den man aber auch erst entdeckte, als sie schon fast 60 war.
Okay… Jetzt wurde es gemein. Nix mit irgendwas für Luft und Bett. Abmarsch: Blut abnehmen, EKG, Lungenfunktionstest und dann noch mal rein kommen Blutdruck messen wiederholen. HMPF!
Blut abnehmen brachte die nächste Überraschung. Es ist nichts Neues, dass die Ladies sich bei mir gerne mal nach einer passenden Ader tot suchen aber dass da dann nicht mal so wirklich was raus kommen will ist absolut abnormal. Ich war Ewigkeiten Blutspenderin und es gab nie Probleme bei der Abnahme, wenn die Ladies erst mal eine Vene gefunden hatten. An diesem Tag hatte die Lady echt ihren Kampf auch nur ein Röhrchen voll zu kriegen. Ich war zwar schon irritiert aber noch lange nicht beunruhigt. Ich hatte immer noch nur mein Bett im Kopf.
Die Wiederholung der Blutdruckmessung ergab immer noch einen viel zu hohen Wert. Im Gegenzug war das EKG aber völlig unauffällig. Mein Doc wurde um einiges stiller, kritzelte dann doch noch ein Rezept, welches er mir dann reichte mit den Worten, ich solle mich doch am Nachmittag gegen 16 Uhr noch mal telefonisch in der Praxis melden, was das Labor so gebracht hätte. Bis dahin wäre bissel Ruhe nicht schlecht. Die Tabletten auf dem Rezept seien für meinen Magen – ich hatte unter anderem ein „Dauer-Sodbrennen-Gefühl“ beschrieben – weil es gut sein könne, dass ich mir da einen Infekt gefangen hätte, der durchaus auch auf die Atmung schlagen könne… HÄH?! Bahnhof. Aber er ist nun mal der Arzt. Ich erwarte von dem auch nicht, dass er weiß warum eine Datenbank rumzickt.

Ich trabte also noch eben kurz in die Apotheke, die praktischerweise gegenüber von meinem Hausarzt liegt, und dann ab nach Hause. Dort angekommen verkroch ich mich auch sofort ins Bett. Da wollte ich schon seit Stunden sein…
Einschlafen war kein Problem. Kein Wunder… links und rechts ein schnurrendes Heizkissen… wer da auf Dauer wach bleibt, dem ist nicht mehr zu helfen. Durchschlafen war aber mal wieder ein Problem. Wie eigentlich das ganze Wochenende. Auch das kannte ich schon: Irgendwann wurde ich wach mit schmerzenden Knochen, manchmal zog das bis in den Hals und Kiefer. So ein dämliches Ziehen irgendwie. Und dieses blöde Gefühl eines tierischen Sodbrennens. Also aufstehen, was zu trinken holen, das eine oder andere machen, wieder ins Bett. So hatte eigentlich mein ganzes Wochenende ausgesehen.
Es wurde Nachmittags und mittlerweile fühlte ich mich ehrlich nur noch miserabel. Eigentlich schlief ich schon gar nicht mehr sondern döste nur vor mich hin, bis die nächste Attacke kam. Gegen halb drei Uhr schlich ich gerade mal wieder Richtung Küche, schwerstens mies gelaunt, als mein Blick auf das Telefon fiel. Die Message-Leuchte blinkte. Hieß: Irgendwer hatte versucht mich anzurufen. Klingelton war aber abgestellt. Grrrr… wer hatte denn bitte die Stirn mich um die Zeit anzurufen! Ist doch bekannt, dass ich über Tag meistens penne. Brummelnd schaute ich nach und war doch etwas erstaunt: Die Praxis meines Arztes ruft mich an? Erm… Kay… Rückruftaste, es wählte…

„Ah, Frau Brömer! Gott sei Dank! Wir wollten ihnen schon einen Rettungswagen schicken!“
Bitte WAS?! Ich schaute völlig perplex mein Telefon an. Das Teil spinnt ja wohl! Für Scherze bin ich so gar nicht aufgelegt. Aus dem Hörer quakte es indes munter weiter, wovon ich natürlich kein Wort verstand.
„Sorry… können sie das noch mal wiederholen? Ich war gerade bisschen arg irritiert..“
„Kein Problem. Also: Kommen Sie bitte SOFORT in die Praxis und holen die Einweisung ab und dann bitte ohne Umwege ins nächste Krankenhaus. Haben sie jemanden, der sie fahren kann? Sonst schreiben wir ihnen noch einen Transportschein für ein Taxi.“
Mir ging das gerade alles viel zu schnell. Wie jetzt Krankenhaus? Wegen einem verkorksten Magen? Geht’s noch?
„Nein, Frau Brömer. Sie hatten mit ziemlicher Sicherheit einen Herzinfarkt. Das muss dringend und schnellstens in einer Klinik abgeklärt werden.“

Für die nächsten Sekunden stand die Welt irgendwie still…

[to be continued…]

Vic
Über Vic 260 Artikel
Klein, bekloppt, chaotisch, unkonventionell und erwachsen werden ist nicht mehr drin. ;) Technik-affin, Spiele-Freak, Leseratte und noch so einiges mehr. Vor allem aber ohne meine Fellnase(n) total aufgeschmissen! Willkommen in meiner kleinen, verrückten (Märchen-)Welt. Noch Fragen? Dann fragt doch einfach! ;)